"Solange man uns das Benzin nicht abstellt..."
Die EU-Sanktionen sind ärgerlich, aber sie treffen die meisten Bürger nicht, sagt Österreichs große Schriftstellerin Gertrud Fussenegger in einem WELT am SONNTAG-Interview (30.07.2000).
Geburtstag
Anläßlich der Umstellung der F.A.Z. auf die alte Rechtschreibung ab dem 01.08.2000 erschien daselbst am 28.07.2000 ein Kommentar von Gertrud Fussenegger.

 

 

"Solange man uns das Benzin nicht abstellt..."

Die EU-Sanktionen sind ärgerlich, aber sie treffen die meisten Bürger nicht, sagt Österreichs große Schriftstellerin Gertrud Fussenegger in einem WELT am SONNTAG-Interview (30.07.2000):

WaS: "Frau Fussenegger, wie ist Ihre Haltung gegenüber den Sanktionen, die von der Europäischen Union gegen Österreich verhängt worden sind?"

Gertrud Fussenegger: "Vorläufig hat uns noch niemand erklärt, worin eigentlich diese Sanktionen bestehen. Daß unsere Diplomaten nicht zu diversen Veranstaltungen eingeladen werden - nun, ich weiß nicht, wie schwerwiegend das ist. Noch ist ja weder der Fremdenverkehr verboten noch der Benzinhahn abgedreht worden. Sanktionen wie gegenüber dem Irak gibt es jedenfalls nicht. Ich habe Jörg Haider nicht gewählt und würde ihn auch nicht wählen. Ich halte ihn für aggressiv und zu wenig verantwortungsvoll; geschickt ist er ja, aber auf einem Level, der für eine vertretbare Politik nicht in Frage kommt. Kurz gesagt: Ich fühle mich in diesem Punkt nicht schuldig und war auch sehr überrascht, daß Bundeskanzler Schüssel sich die FPÖ zum Partner genommen hat."

WaS: "Jörg Haider selbst ist ja schnell wieder ausgestiegen..."

Fussenegger: "Haider ist noch im Spiel, auch wenn er nicht am Ballhausplatz, sondern unten in Kärnten sitzt. Wir wissen nicht, was für Haken er noch schlagen wird. Ohne Hakenschlagen gibt es zwar keine Politik, aber die seine besteht nur daraus."

WaS: "War es nicht Haiders Verdienst, den Zweiparteienfilz von SPÖ und ÖVP aufgelöst zu haben?"

Fussenegger: "Gewiß! Die alte Koalition war verschlissen. Seit Jahrzehnten stellten die Roten den Bundeskanzler. Daß auch sie einmal in die Opposition treten müßten, machte sie fassungslos. Ich hoffe nur, daß Schüssel als gewiefter Politiker und verläßlicher Demokrat die FPÖ in seiner Regierung im Geleise behält. Das wird nicht leicht sein: Diese Minister sind ja keine Profis, die müssen ihr Handwerk erst noch lernen."

WaS: "Bundeskanzler Schüssel hat sich in den letzten Wochen sehr um die Aufhebung der EU-Sanktionen bemüht. Aber die Portugiesen haben sich nicht erweichen lassen, und während der französischen EU-Ratspräsidentschaft dürfte es noch aussichtsloser werden. Was halten Sie von der angekündigten Volksbefragung, mit der die österreichische Regierung die Europäische Union unter Druck setzen will?"

Fussenegger: "Ich weiß nicht, was sie bewirken soll. Der zuletzt bekannt gewordene Text liest sich wie ein einziges Plädoyer für die Kleinen in der EU gegen die Großen und gegen den Zentralismus."

WaS: "Wie denkt die Bevölkerung in Österreich über die Sanktionen?"

Fussenegger: "Man gewöhnt sich dran. Die Menschen waren zuerst bestürzt und empört. Doch da die Masse die Folgen der Sanktionen noch nicht zu spüren bekommt, wird das Thema allmählich eher langweilig."

WaS: "Bleiben wir bei Europa. Sie haben sich in Ihren Büchern oft mit dem Thema "Heimat" beschäftigt, vielleicht auch, weil Sie in Ihrer Jugend in zwei Regionen, in Böhmen und Tirol, zu Hause waren. Gefährdet der EU-Zentralismus, wie ihn die Brüsseler Bürokratie verkörpert, langfristig die gewachsenen regionalen Identitäten in Europa?"

Fussenegger: "Solch ein Zentralismus ist in einem Europa der vielen nationalen Identitäten und Geschichten kaum vorstellbar. Eine Zentrale, die alles vorschreibt, können wir uns nicht wünschen. Allerdings wäre es hilfreich, künftig nach außen mit einer Stimme zu sprechen. Gesetzt den Ernstfall - wie eine solche lockere Gemeinschaft dann funktionieren würde, das freilich weiß ich nicht. Aber vermutlich weiß man das nicht einmal in Brüssel. Reiche, in denen eine solche europäische Herrschaft funktioniert hat, hat es in der Geschichte bereits gegeben. Aber von Zentralismus kann im Falle des Reichs Karls des Großen keine Rede sein. Das deutsche Kaisertum war ein herumziehendes Gewerbe, regiert wurde auf Pfalzen oder während der Reichstage."

Das Interview führte Heimo Schwilk. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Anmerkung: Der Originaltext richtet sich nach der neuen Rechtschreibung. Im Sinne Frau Fusseneggers wird aber auf ihrer Internet-Seite ausschließlich die alte Rechtschreibung verwandt.

 

 

Anläßlich der Umstellung der F.A.Z. auf die alte Rechtschreibung ab dem 01.08.2000 erschien in dieser Zeitung am 28.07.2000 auf der Titelseite folgender Kommentar von Dr. Kurt Reumann:

Geburtstag

Gute Nachrichten seien schlechte Meldungen, schlechte Nachrichten gute, lautet eine Journalistenregel. Sie ist falsch. So viel Zustimmung, so viel Begeisterung hat selten eine Meldung ausgelöst wie die gute Nachricht, daß die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 1. August an zur alten Rechtschreibung zurückkehrt. Wie müssen die Leser darunter gelitten haben, daß diese Zeitung sich im Verein mit den anderen Presseorganen vor einem Jahr widerwillig entschloß, die den Schulen von den Kultusministern verordnete Schreibung zu übernehmen. Wie befreit jubeln sie auf: Schon am ersten Tag erreichten die Redaktion Glückwünsche zuhauf. Es ist, als wollten die Leser mit den Redakteuren Geburtstag feiern. Sogar diejenigen, die mit dieser Zeitung sonst nicht zufrieden sind, loben sie. Am schönsten Nobelpreisträger Günter Grass: Die F.A.Z. möge weiter Unsinn über ihn schreiben, wenn der nur in der alten Schreibung abgedruckt werde.

Die österreichische Schriftstellerin Gertrud Fussenegger freut sich darüber, daß die F.A.Z. "dem torkelnden Unfug der Rechtschreibreform eine Stopptafel entgegenstellt: Die kann so leicht nicht übersehen werden."

Wollen die Kultusminister wirklich die Augen davor verschließen? Warum reagiert ihr Präsident Lemke so mutlos? Als die Konferenz Ende 1995 die ungeliebte Reform beschloß, hat er doch noch schwungvoll den Fußballclub Werder Bremen geführt. So wie er sind die meisten Kultus- und Wissenschaftsminister neu in der Konferenz; mehr als zwei Drittel der alten Sünder sind ausgeschieden oder haben neue Aufgaben übernommen. Die Neuen würden also nicht das Gesicht verlieren, wenn sie auf das Volk hörten. Im Gegenteil: Man würde ihnen zujubeln wie der F.A.Z. Die neue hessische Kultusministerin Wolff deutet an, wie das zu schaffen wäre: nicht das ganze Regelwerk auf den Kopf stellen, aber Fehler und Ungereimtheiten beseitigen.

Meldungen, andere Zeitungen würden der F.A.Z. nicht folgen, sind voreilig. Die Presse hat die Neuregelung ja nicht aus Überzeugung übernommen, sondern nur, um die Einheitlichkeit der deutschen Schriftsprache zu erhalten - aber das ist gründlich mißlungen. Sicher werden manche Verleger verhindern wollen, daß sie Leser verlieren. Wie auch immer: Wir feiern Geburtstag, mit unseren Lesern.

 

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