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"Solange man uns
das Benzin nicht abstellt..." Die EU-Sanktionen sind ärgerlich, aber sie
treffen die meisten Bürger nicht, sagt Österreichs große Schriftstellerin
Gertrud Fussenegger in einem WELT am SONNTAG-Interview (30.07.2000): WaS: "Frau Fussenegger, wie ist Ihre
Haltung gegenüber den Sanktionen, die von der Europäischen Union gegen Österreich
verhängt worden sind?" Gertrud Fussenegger: "Vorläufig hat
uns noch niemand erklärt, worin eigentlich diese Sanktionen bestehen. Daß
unsere Diplomaten nicht zu diversen Veranstaltungen eingeladen werden - nun, ich
weiß nicht, wie schwerwiegend das ist. Noch ist ja weder der Fremdenverkehr
verboten noch der Benzinhahn abgedreht worden. Sanktionen wie gegenüber dem
Irak gibt es jedenfalls nicht. Ich habe Jörg Haider nicht gewählt und würde
ihn auch nicht wählen. Ich halte ihn für aggressiv und zu wenig
verantwortungsvoll; geschickt ist er ja, aber auf einem Level, der für eine
vertretbare Politik nicht in Frage kommt. Kurz gesagt: Ich fühle mich in diesem
Punkt nicht schuldig und war auch sehr überrascht, daß Bundeskanzler Schüssel
sich die FPÖ zum Partner genommen hat." WaS: "Jörg Haider selbst ist ja
schnell wieder ausgestiegen..." Fussenegger: "Haider ist noch im Spiel,
auch wenn er nicht am Ballhausplatz, sondern unten in Kärnten sitzt. Wir wissen
nicht, was für Haken er noch schlagen wird. Ohne Hakenschlagen gibt es zwar
keine Politik, aber die seine besteht nur daraus." WaS: "War es nicht Haiders Verdienst,
den Zweiparteienfilz von SPÖ und ÖVP aufgelöst zu haben?" Fussenegger: "Gewiß! Die alte
Koalition war verschlissen. Seit Jahrzehnten stellten die Roten den
Bundeskanzler. Daß auch sie einmal in die Opposition treten müßten, machte
sie fassungslos. Ich hoffe nur, daß Schüssel als gewiefter Politiker und verläßlicher
Demokrat die FPÖ in seiner Regierung im Geleise behält. Das wird nicht leicht
sein: Diese Minister sind ja keine Profis, die müssen ihr Handwerk erst noch
lernen." WaS: "Bundeskanzler Schüssel hat sich
in den letzten Wochen sehr um die Aufhebung der EU-Sanktionen bemüht. Aber die
Portugiesen haben sich nicht erweichen lassen, und während der französischen
EU-Ratspräsidentschaft dürfte es noch aussichtsloser werden. Was halten Sie
von der angekündigten Volksbefragung, mit der die österreichische Regierung
die Europäische Union unter Druck setzen will?" Fussenegger: "Ich weiß nicht, was sie
bewirken soll. Der zuletzt bekannt gewordene Text liest sich wie ein einziges Plädoyer
für die Kleinen in der EU gegen die Großen und gegen den Zentralismus." WaS: "Wie denkt die Bevölkerung in Österreich
über die Sanktionen?" Fussenegger: "Man gewöhnt sich dran.
Die Menschen waren zuerst bestürzt und empört. Doch da die Masse die Folgen
der Sanktionen noch nicht zu spüren bekommt, wird das Thema allmählich eher
langweilig." WaS: "Bleiben wir bei Europa. Sie haben
sich in Ihren Büchern oft mit dem Thema "Heimat" beschäftigt,
vielleicht auch, weil Sie in Ihrer Jugend in zwei Regionen, in Böhmen und
Tirol, zu Hause waren. Gefährdet der EU-Zentralismus, wie ihn die Brüsseler Bürokratie
verkörpert, langfristig die gewachsenen regionalen Identitäten in
Europa?" Fussenegger: "Solch ein Zentralismus
ist in einem Europa der vielen nationalen Identitäten und Geschichten kaum
vorstellbar. Eine Zentrale, die alles vorschreibt, können wir uns nicht wünschen.
Allerdings wäre es hilfreich, künftig nach außen mit einer Stimme zu
sprechen. Gesetzt den Ernstfall - wie eine solche lockere Gemeinschaft dann
funktionieren würde, das freilich weiß ich nicht. Aber vermutlich weiß man
das nicht einmal in Brüssel. Reiche, in denen eine solche europäische
Herrschaft funktioniert hat, hat es in der Geschichte bereits gegeben. Aber von
Zentralismus kann im Falle des Reichs Karls des Großen keine Rede sein. Das
deutsche Kaisertum war ein herumziehendes Gewerbe, regiert wurde auf Pfalzen
oder während der Reichstage." Das Interview führte Heimo Schwilk.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Anmerkung: Der Originaltext
richtet sich nach der neuen Rechtschreibung. Im Sinne Frau Fusseneggers wird
aber auf ihrer Internet-Seite ausschließlich die alte Rechtschreibung verwandt.
Anläßlich der
Umstellung der F.A.Z. auf die alte Rechtschreibung ab dem
01.08.2000 erschien in dieser Zeitung am 28.07.2000 auf der Titelseite folgender
Kommentar von Dr. Kurt Reumann: Geburtstag Gute Nachrichten seien schlechte Meldungen,
schlechte Nachrichten gute, lautet eine Journalistenregel. Sie ist falsch. So
viel Zustimmung, so viel Begeisterung hat selten eine Meldung ausgelöst wie die
gute Nachricht, daß die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 1.
August an zur alten Rechtschreibung zurückkehrt. Wie müssen die Leser darunter
gelitten haben, daß diese Zeitung sich im Verein mit den anderen Presseorganen
vor einem Jahr widerwillig entschloß, die den Schulen von den Kultusministern
verordnete Schreibung zu übernehmen. Wie befreit jubeln sie auf: Schon am
ersten Tag erreichten die Redaktion Glückwünsche zuhauf. Es ist, als wollten
die Leser mit den Redakteuren Geburtstag feiern. Sogar diejenigen, die mit
dieser Zeitung sonst nicht zufrieden sind, loben sie. Am schönsten Nobelpreisträger
Günter Grass: Die F.A.Z. möge weiter Unsinn über ihn schreiben, wenn der nur
in der alten Schreibung abgedruckt werde. Die österreichische Schriftstellerin
Gertrud Fussenegger freut sich darüber, daß die F.A.Z. "dem torkelnden
Unfug der Rechtschreibreform eine Stopptafel entgegenstellt: Die kann so leicht
nicht übersehen werden." Wollen die Kultusminister wirklich die Augen
davor verschließen? Warum reagiert ihr Präsident Lemke so mutlos? Als die
Konferenz Ende 1995 die ungeliebte Reform beschloß, hat er doch noch
schwungvoll den Fußballclub Werder Bremen geführt. So wie er sind die meisten
Kultus- und Wissenschaftsminister neu in der Konferenz; mehr als zwei Drittel
der alten Sünder sind ausgeschieden oder haben neue Aufgaben übernommen. Die
Neuen würden also nicht das Gesicht verlieren, wenn sie auf das Volk hörten.
Im Gegenteil: Man würde ihnen zujubeln wie der F.A.Z. Die neue hessische
Kultusministerin Wolff deutet an, wie das zu schaffen wäre: nicht das ganze
Regelwerk auf den Kopf stellen, aber Fehler und Ungereimtheiten beseitigen.
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