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Interview:

in: Die Rampe, Linz 1/1982, p. 7-16

Das folgende Interview ist ein Mitschnitt der ORF-Sendung "Treffpunkt Österreich" vom 25.12.1981 und wurde von Dr. Johannes Jetschgo geführt.

Jetschgo: "Frau Fussenegger, Sie haben Ihr erstes Buch - Geschlecht im Advent - mit 22 Jahren geschrieben. In Ihrem späteren Lebensbericht - Ein Spiegelbild mit Feuersäule - steht zu lesen, daß dieses erste Buch aus einer gewissermaßen geschlossenen Naivität hervorgegangen ist. Sie schrieben es also unbehelligt von "Lord Chandos", d.h. von der Sprachskepsis, die schon Hofmannsthal geäußert und die dann Joyce noch konsequenter weitergetrieben hat?"

G.F.: "Das ist richtig. Ich habe meine schriftstellerische Laufbahn nicht eben im Zeichen der Sprachskepsis begonnen. Und ich weiß nicht, ob ich das bedauern oder nicht bedauern, ob ich es bereuen oder darüber eher froh sein soll. Zwar: Ich habe auch mein erstes Buch schon mit ausgeprägtem Kunstwillen geschrieben und habe es vor allem in seiner Komposition ganz bewußt strukturiert. Die sprachliche Problematik allerdings, die damals in literarischen Kreisen bereits längst diskutiert wurde, sie war mir noch nicht aufgegangen. Sie haben eben erst Hofmannsthals Lord-Chandos-Brief und Sie haben Joyce angesprochen. Was da an Zweifel an der Aussagbarkeit der Welt deponiert ist, das hat mich erst später eingeholt. Und ich habe diese Zweifel gründlich kennen- und auskosten gelernt."

Jetschgo: "So hat sich Ihnen das Erzählen im Laufe Ihrer schriftstellerischen Laufbahn doch noch problematisiert? - In der Weise etwa, wie so viele Autoren von heute experimentieren und nach ganz neuen Gestaltungsweisen und Stilformen suchen?"

G.F.: "Ja und nein. Da möchte ich zuerst einmal einschränkend sagen, daß ich kaum je auf das eingegangen bin, was man in der Literatur als Experiment bezeichnet. Ich halte den Terminus Experiment im Bereich der Literatur, der Kunst überhaupt, eigentlich für verfehlt. Der Begriff des Experiments kommt aus dem Labor des Naturwissenschaftlers und bezeichnet dort Vorgänge, die für sich abgeschlossen - in Reagenzglas oder Elektrometer - reihenweise und streng kontrolliert durchgespielt werden. Das gibt es im Bereich der Kunst nicht oder kann es nur in den allerseltensten Fällen geben. Bei der Kunst haben wir es ja immer mit individuierten, nicht mechanisch wiederholbaren Vorgängen zu tun. In der Kunst ist die Problematik der Form immer mit der Problematik der Person verquickt. Das heißt, sie ist auch immer ein um sich greifender Lebensprozeß und als solcher nicht streng isolierbar. So vermittelt zum Beispiel epische Literatur immer kausale Verflechtungen, ohne daß es je gelänge, ja, gelingen dürfte, die ganze Summe der jeweils wirkenden Ursachen ins Blickfeld zu bringen. Dem Autor bleibt nichts übrig, als eine Auswahl zu treffen, einen Ausschnitt herzustellen. Aber wie er auswählt, wie er ausschneidet, darauf kommt es an; das ist seine Freiheit, und es verrät sein Wesen."

Jetschgo:" Trotzdem bleibt ja an Problematik noch genug zu bewältigen. Haben Sie nicht selbst in Ihren beiden Romanen "Zeit des Raben, Zeit der Taube" und "Die Pulvermühle" episch exzentrische Wege eingeschlagen? In "Zeit des Raben..." haben Sie zwei Ebenen der Erzählung auf recht ungewöhnliche Weise parallel geführt, und in Ihrer "Pulvermühle" haben Sie das Spiel mit mehreren Plattformen noch weiter getrieben. Waren das keine Experimente, war das keine Suche nach neuen Formen?"

G.F.: "Wenn Sie so wollen: ja. In "Zeit des Raben - Zeit der Taube" habe ich - wie ja schon der Titel andeutet - zwei Lebensgeschichten erzählt, die auf den ersten Blick nichts oder doch nur sehr wenig miteinander zu tun haben. Ich habe sie kapitelweise alternierend erzählt, ich kann wohl sagen, gegeneinander aufgebaut und zwei Extrempositionen angeleuchtet. Das war sicher ein eher kühner Einfall, ein Vorstoß in Richtung noch unerprobter Form... Und dann - mein Roman "Die Pulvermühle". Auch hier habe ich mir eine Menge vorgenommen: ein länger vergangenes Ereignis aus den verschiedensten Erinnerungssträhnen und -strängen zusammenzuflechten und den Vorgang dieser Verflechtung wieder selbst zu einer Geschichte zusammenwachsen zu lassen. Die Niederschrift dieses Buches hat lang gedauert, ich habe viel geändert, viel korrigiert, immer wieder neu auf- und umgebaut. An sieben Jahre habe ich mich darum bemüht. Und doch möchte ich sagen: In beiden Fällen war es nicht so sehr die Form als solche als eben der neue oder neuzubewältigende Inhalt, der mich gezwungen hat, neue Wege zu beschreiten: in "Zeit des Raben..." der global wirkende Gegensatz zwischen Naturwissenschaft einerseits und Religion und Kunst andererseits. In der "Pulvermühle" das eher psychologische Problem der Erinnerung, der Erinnerung als Leistung der sich erinnernden Person mit all den Unschärferelationen und gesteuerten Verschiebungen, mit denen das menschliche Gedächtnis zu arbeiten pflegt..."

Jetschgo: "Und die Figuren, sie sich erinnern, treten dann in der "Pulvermühle" als Erzähler auf, jede in ihrer Art. Da ist doch erst einmal dieser intellektuelle Lehrer Wagenseil, dann der eitle Anekdotensammler und Sommerfrischler Federspiel und schließlich noch der Dorfpfarrer Perwög, drei Hauptfiguren, und in jeder eine ganz andere Brechung des Geschehens...?"

G.F.: "Sie sehen das ganz richtig. Eigentlich treten alle Figuren in diesem Roman als Erinnerungsträger auf (ausgenommen vielleicht der Wirt, der zu dumpf und versumpft ist, sich erinnern zu wollen). Die weibliche Hauptfigur Julia ist geradezu süchtig nach Einkehr in Erinnerungen. Ihr Gatte Jürgen Bojan, der sich eben von ihr scheiden lassen will, glaubt jenseits der Erinnerungen leben zu können und wird eben von dieser erinnerten Vergangenheit eingeholt. Und dann die drei von Ihnen schon genannten Figuren: Wagenseil, Federspiel, der Pfarrer... Mit ihnen habe ich etwas ganz Besonderes vorgehabt. Ich wollte an ihnen drei Arten der Welterfahrnis dartun. Wagenseil - sie nennen ihn einen intellektuellen Lehrer -, später ist er Zuchthäusler und noch später eigenbrötlerischer Sonderling, er ist der Klügste von allen, immer bereit, sich die Dinge selbst auseinanderzulegen, zu analysieren - und kommt dabei regelmäßig zu einem negativen Ergebnis. Er bezeichnet die nihilistische Position. Dann Federspiel, ein geborener Erzähler und Unterhalter, ihm fällt es gar nicht ein, zu analysieren. Er ist immer nur auf Jagd nach einer saftigen Fabel. Ihn fasziniert die Sensation, die erzählerische Pointe. Für ihn ist die Welt nicht Erkenntnisobjekt, sondern Thema, das episch gestaltet werden kann. In diesem Federspiel habe ich meine eigene Leidenschaft für das Geschichtenerzählen ein wenig ironisiert. - Und schließlich Pfarrer Perwög: Nun, er ist die fromme Seele, er ist der große Moralist in diesem Roman. Ihm geht es immer um den Menschen, um sein Heil oder Verderben. Er sieht alles im Hinblick auf Gott, sub specie aeternitatis."

Jetschgo: "Und das ist wohl auch in irgendeiner Weise Ihre eigene Position, Frau Gertrud Fussenegger. Ist denn nicht Ihr gesamtes Weltbild doch auf eine allgemeine Ordnung hin konzipiert? Und ist es nicht dieser universelle Ordnungsgedanke christlicher Prägung, der Ihr Schreiben motiviert, ja, der Sie erst zur Schriftstellerin gemacht hat? In Ihrem Essay "Sag mir, was ist gut?" ziehen Sie einen Vergleich zwischen dem Schöpfungswerk Gottes und dem Gestalten des Künstlers und deuten an, daß es der Kunst nur förderlich wäre, sich an diese Parallele zu halten."

G.F.: "Hm ja, ich beziehe mich da ausdrücklich auf archaische Phrasen, die ja leider längst hinter uns liegen... Gewiß, es wäre der Kunst vielleicht förderlich, sich enger an das Schöpfungswerk zu halten und sich damit auch naiver zu verhalten. Aber es ist die Frage, ob das der Kunst heute noch möglich ist. Ich glaube nicht. Unsere Zeit hat uns sowohl um ein naives Verhältnis zur Natur als auch um eine naives Vertrauen auf ein, wie Sie sagten, universelles Ordnungsgefüge gebracht. Wir verfügen zwar über einen großen Fächer von Möglichkeiten, sind aber selbst aus den Fugen geraten. Auch ich bin nicht in der Lage, Ihnen mit einem geordneten Weltbild aufwarten zu können. Auch mein Weltbild ist tief zerklüftet von den inneren Antinomien des Seins, wie ich sie immer wieder - auch an mir selber - erfahren und immer wieder sehr schmerzlich erlebt habe. Trotzdem habe ich mich nie oder nicht auf Dauer der Verzweiflung verschreiben mögen; und habe nie die Meinung aufgeben wollen, daß in der Idee der Kunst unaufhebbar ein, wenn auch vielleicht infinitesimales, Quantum an Hoffnung und Widerstand gegen den anarchischen Sog steckt und stecken muß. Im übrigen ist das vielfach eine Frage des Maßstabs..."

Jetschgo: "Wie meinen Sie das: Maßstab?"

G.F.: "Ja, Maßstab ist eine Vokabel, die eher aus der Bildenden Kunst stammt als aus dem literarischen Feld... Und vielleicht ist hier in der Tat eine Verbindung. Mein Umgang mit der Bildenden Kunst hat mich gelehrt, daß es auch in der Literatur - oder sagen wir diesmal - in der Dichtung etwas wie einen Werkmaßstab gibt. Ein Beispiel: Es gibt das Gedicht - es gibt die Story - es gibt die große Erzählung - und den Roman. Die Spezies sind nicht streng voneinander geschieden. Aber doch hat jede ihren eigenen Aussagesektor, ihre Werkgerechtigkeit - nun, eben ihren Maßstab. Ein Thema, das in einem lyrischen Text abgehandelt werden kann, gehört nicht in eine Erzählung und umgekehrt. Und die Themen und Konfliktführung, die für eine knappe Novelle passen, sollen nicht in einem Roman von 500 Seiten ausgewalzt werden. Das ist klar. Nun aber haben die verschiedenen Spezies, wie mir scheint, auch etwas wie ein moralisches Handmaß. In einer kleineren, knapperen Form kann und darf ich zu einer rein negativen Position kommen. Ich kann darin der Welt meine Absage erteilen. In einer "short story" kann ich noch weiter gehen. Hier kann die Absurdität auf die Spitze getrieben werden. Im Gedicht ist auch der grelle Aufschrei erlaubt. Wenn ich aber einen Roman schreibe, liegen die Dinge ein wenig anders. Schon der Umfang eines solchen Werkes macht die Position der puren Verzweiflung nicht recht glaubhaft. Denn indem ich als Autor treu und bieder die lange Arbeit der Niederschrift geleistet habe (und einen Roman zu schreiben ist eben auch Arbeit, Fleißarbeit), habe ich mich bereits von der chaotischen Desperation abgesetzt. Ich habe auch an meine Leser zu denken begonnen und muß mich schließlich zu diesem Denken bekennen. Ist es aber zumutbar, daß ich meinen Leser nach vier- bis fünfhundert Seiten Lektüre völlig frustriert entlasse? Bin ich ihm nicht ein Quentchen Hoffnung, bin ich ihm nicht einen Schimmer Helligkeit schuldig? Ich habe ihn viele Seiten lang mit mir beschäftigt und ihn vielleicht mit meinen Schreckensvisionen überschüttet, aber zuletzt - bitte - zuletzt, ehe ich mich verabschiede, habe ich da nicht doch etwas wie eine Aufhellung zu leisten? So ist es mir bei meinem Roman "Das verschüttete Antlitz" gegangen. Dieses Buch ist ja ein sehr schwarzes Buch und die Hauptperson Viktorin Zeman wahrhaftig ein Unglücksrabe. Ich habe ihn von Station zu Station abwärts in eine Art Mördergrube geführt. So, und nun stand ich da und sollte ein Ende finden. Und fand das Ende nicht. Und konnte das Schlußkapitel nicht schreiben, weil sich in mir alles sträubte, ganz trostlos zu schließen. Ich habe dann das Manuskript anderthalb Jahre liegen lassen, bis sich mir, ganz von selbst, eine Lösung einstellte - bis sich für mich die Aufwärtsbewegung realisierte, die ich dem Werk schuldig zu sein glaubte. Und dann konnte ich es zu Ende schreiben."

Jetschgo: "In Ihrem Roman "Das Haus der dunklen Krüge" haben Sie Ihre eigene Familie in der Familie Bourdanin beschrieben. Da heißt es an einer Stelle: "Die Bourdaninschen sollen nichts vergessen." Sie beziehen sich da auf den geschichtlichen Kontext des alten Österreich. Geschichtliche Kontexte beherrschen überhaupt einen großen Teil Ihres Werks, sie sind in fast allen Ihrer Bücher ein wichtiges, wenn nicht sogar tragendes Element. Kann man da nicht noch schärfer akzentuieren, indem man sagt: Ihr Schreiben widmet sich nicht nur der Rückschau, sondern der Vergangenheitsbewältigung?"

G.F.: "Kann man, gewiß. Was ich geschrieben habe, ist auch Vergangenheitsbewältigung - nicht nur Bewältigung von eigener persönlicher Vergangenheit, von Kindheitserinnerungen usw., sondern auch Bewältigung historischer Abläufe. Seit jeher war ich schon an Historie fixiert. Grundsätzlich bin ich der Meinung, daß man nicht verstehen kann, was ist, wenn man nicht darum weiß, was war. Da waltet das Gesetz der Kausalität, da stellt es seine Forderungen. Wie könnten wir begreifen, was uns umgibt, in welche Situation wir gestellt sind, in welche Muster wir verwoben sind, wenn wir keine Ahnung davon haben, wie es zu unserer Situation kam, aus welchem Stoff die Muster sind, in denen wir ja doch nichts weiter als eine kleine Masche bilden. Zu solchem Überblick gehört selbstverständlich auch immer der politische und sozialpolitische Hintergrund. Vor allem im Roman. Ein großes Lebensgemälde, wie es ja doch der Roman darstellt, kann ohne solche Hintergründe schwerlich auskommen. Da heißt es also jeweils einsteigen in eine Menge Lektüre, Information, Studium. Was auch wieder nicht heißen soll, daß man die Handlung mit zuviel Geschichte befrachten darf. Literatur ist nicht dazu da, ein Handbuch der Weltgeschichte zu ersetzen. Alle großen Epiker waren Meister des Details, der Anspielung, der oft unauffälligen Einspiegelung. Das heißt nicht, daß dann nicht auch einmal das schallende Donnerwort fallen darf, Menetekel oder Halleluja. An bestimmten Stellen darf reiner Wein eingeschenkt und die Dinge dürfen beim Namen genannt werden. An solchen Stellen leuchtet dann der Stoff eines Buches gleichsam in reinen Farben auf. Im allgemeinen aber ist der epische Umweg, die individuierte Umschreibung der bessere und zielführendere Weg. Wenn ich lese, will ich ja auch nicht ständig mit einem ideologischen Knüppel über den Kopf gehauen werden. Ich will mehr ahnen und mitfühlen können, als daß ich mich belehren und womöglich vereinnahmen ließe. So ist gute Literatur eher eine Schule der Sensibilität und weniger der Lehre, sie ist eher eine Einübung, Sinnfälligkeiten zu deuten, und nicht: Überrumpelung durch Beweise." Poetische Notationen zum langsamen Untergang eines Reiches. Ferdinand Saar zu seinem 150. Geburtstag in: Die Rampe, Linz 2/1983, p. 110-129

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Redaktion: Alexandra Linder M.A. und Michael Ragg

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