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Interview: Mitarbeiter Michael Ragg von PUR sprach mit der Schriftstellerin in Hall in Tirol. PUR: Frau Fussenegger, am Anfang Ihres Lebens, es war der Vorabend des Ersten Weltkriegs, stand, wie Sie einmal schreiben, "ein Horizont voll dunkler Wolkengebirge". In Ihren ersten Lebensjahren seien Sie "umschwirrt gewesen von Krieg, Hunger, Seuchen und Tod". All das hat es ja dann in dem Jahrhundert, dessen Zeugin sie sind, auch reichlich gegeben. Wenn Sie zurückblicken auf diese achteinhalb Lebensjahrzehnte, erkennen Sie dann einen Fortschritt? Geht es den Menschen in Mitteleuropa heute besser, sind Sie vielleicht sogar besser geworden als damals? Gertrud Fussenegger: lm Allgemeinen geht es uns Mitteleuropäern schon seit Jahrzehnten viel besser. als es jemals vorstellbar war. Der deutsche Arbeiter lebt heute weit komfortabler und schmerzfreier als der Kaiser im Mittelalter. Er muß weniger frieren braucht weniger Zahnschmerzen zu haben; er muß nicht fürchten von einer banalen Blindarmentzündung hinweggerafft zu werden; er kann auch damit rechnen, daß seine Kinder am Leben bleiben was früher durchaus nicht der Fall war. Ob die Menschen besser geworden sind, das ist nun freilich eine Frage, bei der es sehr auf den Blickpunkt ankommt. lch würde sagen: Emotional war der Mensch der Vergangenheit reicher. Er war an Traditionen gebunden. Sie mögen ihn manchmal bedrückt haben, andernteils haben sie ihm auch starke Gefühlswerte vermittelt. Heute sind wir alle mehr oder minder rationalistisch bestimmt. Unserer Jugend wird ,,coolness" als Lebensideal beigebracht, also eine Erkaltung des Gefühls was nicht hindert daß ihr daneben dumpfe Ängste eingeimpft werden, ein Weltbild der Gewalt und der Katastrophen. Ich bin oft recht bedrückt durch den Gedanken, daß die junge Generation, mitten im Wohlstand, ohne rechte Hoffnung aufwächst. Die reine Freude am Dasein wie sie doch nur natürlich wäre, wurde ihr ausgetrieben. Selbst in der Natur sollen die jungen Menschen nur Macken sehen, Krankheitssymptome, Zerstörungen. Da ist ein grosser Entmutigungsfeldzug im, Gange, der nicht zu verantworten ist. PUR: Sie sprachen von Ängsten die heute umgehen und es sind ja zum Teil wirklich apokalyptische Ängste Man fürchtet weniger Krieg und Seuchen, vielmehr Zerstörung der Umwelt oder Genmanipulation. Sie haben schon 1952 in Ihrem Gedicht "Wer bist Du?" die Gefahren der Ausbeutung der Natur und der Manipulation menschlichen Lebens vorausgespürt. Gertrud Fussenegger: Das Gedicht habe ich damals geschrieben,
als die Atombombe und die Wasserstoffbombe erfunden waren und als es die
ersten konkreten Nachrichten gab, daß die Atomenergie einen Einfluß auf
die Erbanlagen hat und Mutationen hervorrufen kann. Diese Beängstigungen
haben mich damals erfüllt und sie haben mich bis heute nicht verlassen.
PUR: Eine unserer größten Sorgen ist ja gegenwärtig die hohe Arbeitslosigkeit. Gertrud Fussenegger:...ein Krebsübel schlimmster Sorte, aber von uns mitverschuldet, damit auch mitzuverantworten. Die Maschine ersetzt den Menschen, der technische Fortschritt drängt ihn in den Winkel, wo er sich für nutzlos halten muß. Wo früher Menschen saßen, finden wir heute Automaten. Das kommt nicht nur daher, daß sich der Automat als effektiver und billiger empfiehlt: Wir sind als Gesellschaft in unsere Konstrukte verliebt - blindlings verliebt. Wir ziehen die Manipulation der Maschine dem Umgang mit Menschen vor. PUR: Zu den Manipulationen des menschlichen Lebens gehört ja heute auch die Abtreibung. Sie selbst haben fünf Kinder zur Welt gebracht, zwei davon in den letzten Kriegsjahren und unter Umständen, die sicher nicht einfach waren. Gertrud Fussenegger: Ja, das waren schwere Zeiten. Aber ich wollte Kinder haben. Schon als junges Mädchen hatte ich davon geträumt, Leben um mich wachsen zu sehen und dieses Leben zu hüten dafür da zu sein. Diese Grundeinstellung hat mich nicht verlassen, auch in schwierigsten Zeiten nicht. Bei allen Befürchtungen, Mühen und Entbehrungen waren mir die Kinder vier waren es damals - doch eine Art Kraftquelle. Jeden Abend durfte ich einen Augenblick wirklich glücklich sein, wenn ich von Bettchen zu Bettchen ging und sie ruhig und gesund schlafend fand. Da spürte ich so etwas wie einen Schatz an Leben; das hat mich aufrecht gehalten. PUR: Wenn Sie heute von ,sozialer Notlage" hören oder von (Un-)Zumutbarkeit der Schwangerschaft", was denken Sie dabei? Gertrud Fussenegger: lch halte es für absurd, wenn es dem Einzelnen vom Gesetz erlaubt wird, das Wesen zu töten das ihm doch eigentlich das nächste sein sollte, das eigene Kind. Da ist ein Bruch in unserer Kultur. Er kommt wohl daher, daß man dem Menschen nicht zumuten will, sich auf etwas einzulassen, was er nicht geplant hat. Ein höchst fragwürdiger Begriff von Mündigkeit führt hier zu einer Art angemaßter Omnipotenz, zu einer falschen und deshalb fürchterlichen Freiheit. PUR: Ein weiteres Menetekel am europäischen Horizont ist gegenwärtig eine Renaissance des Nationalismus. Nicht nur in Bosnien hat der Nationalismus grausige Triumphe gefeiert, auch in Deutschland und Österreich ist das lang verpönte Reden über Nationales wieder hoffähig geworden. Sie selbst haben sich dazu bekannt, in Ihrer Jugend so etwas wie eine Nationalistin gewesen zu sein. Wie kam es dazu? Gertrud Fussenegger: Hier müssen wir uns einmal in jene Zeit zurückversetzen. Die zwei großen Mächte, die Anfang und Mitte unseres Jahrhunderts dominierten, waren der Sozialismus und der Nationalismus. Man konnte sich als junger Mensch weder dem einen noch dem anderen ganz entziehen. Beide sprachen ein Gemeinschaftsgefühl an, das vielfach nur dumpf und verschroben war, aber, wie ich glaube, aus dem menschlichen Grundbestand so leicht nicht zu tilgen ist. Sehen Sie, ein Volk zu haben, eine Sprache und ein gewisses Selbstbewußtsein in dieser Richtung, das kann ich nicht für ein Unglück halten. Zu einem Unglück wächst sich dieses Gemeinschaftsgefühl aus, wenn es sich aus der Ablehnung anderer Gemeinschaften definiert; wenn andere nur schlechtgemacht, verachtet werden, wenn man ihnen nur Böses wünscht, ja Böses zufügt - da entartet das Nationalgefühl zu etwas Unmenschlichem. Familiensinn ist etwas Normales und Gutes und hat auch seine Lebenswirkung. Wenn aber dieser Familiensinn so weit getrieben wird, daß er in Feindseligkeit gegenüber dem Nachbarn, den Nicht-Verwandten umschlägt, dann haben wir wieder ein Beispiel, daß ein an sich Gutes durch Übertreibung in Schreckliches, sogar in Mörderisches umschlägt. PUR: Sie schildern in Ihrem Lebensbericht ,Ein Spiegelbild mit Feuersäule", daß Sie sich schon 1933 die Frage stellten, welche Kraft imstande sei, auf Dauer den Frieden zu sichern und sozialen AusgIeich zu schaffen und welche Kraft den Menschen vor der Herrschaft der Maschinenwelt bewahren kann. Damals haben Sie diese Kraft im Katholizismus gesehen. Sehen Sie das heute auch noch so? Gertrud Fussenegger: Eher nicht. Der Katholizismus hatte damals noch eine ganz andere Kraft, einen ganz anderen Stellenwert als heute. Die Kirche hat die Erfahrung gemacht, daß sie von jeher, aber vergeblich, gegen die technische Entwicklung gekämpft hat. Heute glaubt sie, besser beraten zu sein, wenn sie solche Widerstände erst gar nicht aufbaut. Sie ist im Zweiten Vatikanischen Konzil in eine Phase eingetreten, in der sie sich der Welt angleicht oder doch den Willen dazu signalisiert. Zuerst hat sie viel Applaus dafür bekommen. Jetzt flickt ihr jeder am Zeug, und das Verständnis der Allgemeinheit für das besondere Wesen der Kirche ist weithin geschwunden und damit auch ihre gesellschaftsprägende Macht. PUR: Eine Mitschülerin hat lhnen einmal gesagt: "lch glaube, du kannst nie ein moderner Mensch werden, weil du viel zu religiös bist." Haben Sie Religiosität und Modernität als Widerspruch empfunden? Gertrud Fussenegger: Weithin ja. Aber was heißt nun Modernität? Der Mensch, der alles Glück nur darin findet, nach außen zu leben, die Außenwelt zu beherrschen und zu genießen? Ein solches Menschenbild hat die Kirche freilich nie ganz absegnen können. Sie ist bei der alten Frage geblieben: ,Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und doch Schaden litte an seiner Seele?" - Das bleibt ihr großes Verdienst. Vergessen wir bitte auch nicht, welch eine wichtige Rolle die Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg gespielt hat bei der Beruhigung und Wiederverfestigung unseres aufgewühlten und zerstörten Kontinents. Da hat sie sehr viel Lebenshilfe geleistet - auch mir. Damals, vor dem Konzil, habe ich oft gedacht, die Kirche könnte nur gewinnen, wenn sie sich öffnen würde. Aber ich habe mir diese Öffnung ganz anders vorgestellt, als sie dann eingetreten ist. lch hatte an eine Öffnung gegenüber dem Mystischen gedacht, so wie sie sich etwa im "renoveau catholique" in Frankreich angedeutet und angeboten hat. In Wirklichkeit gab es dann eine Öffnung gegenüber der ratio, eine Zurücknahme des Mystischen, Geheimnisvollen. PUR: Ist diese Selbst-Entmystifizierung der Kirche auch Schuld daran, daß sie so an Anziehungskraft gerade für junge Menschen verloren hat? Gertrud Fussenegger: Gewiß für Jugendliche, die sichere Ceborgenheit und sonst nichts in der Kirche gesucht haben. Wie Kardinal Ratzinger in seinem kürzlich erschienenen Lebensbericht zugesteht, haben sich die Väter des Konzils im Laufe ihrer Beratungen immer deutlicher dem Problem gegenüber gesehen, daß sowohl die streng wissenschaftliche Bibelkritik als auch die damals aufgebrochene Literaturkritik ein gewaltiges Element der Unsicherheit im ganzen Kirchenvolk verbreitet haben. Was früher gottgegeben und unwandelbar erschien, schien plötzlich veränderbar, machbar, also, wenn Sie wollen, banalisiert. Das mag viele Menschen erschüttert haben, junge und alte. PUR: Viele Jugendliche haben auch Schwierigkeiten im Zugang zur Kirche, weil sie die Vorstellungen der Kirche zur Sexualmoral nicht teilen. Gertrud Fussenegger: Es ist außerordentlich schwer, bestimmte Vorschriften sinnvoll zu finden und zu akzeptieren, wenn man sich selbst außerhalb dieser Vorschriften bewegt. Der habituelle Gesetzesbrecher wird sich nie für die Gesetze begeistern ... PUR: Sie, Frau Fussenegger, haben sich ja in viel strengeren Zeiten selbst über die kirchlichen Anforderungen hinweggesetzt. Mit ihrem ersten Ehemann waren Sie schon lange vor der Eheschließung zusammen. Sie haben sich dann scheiden lassen und wieder geheiratet. Auch sonst sind sie im Zweifel eher Ihrem Herzen gefolgt als dem kirchlichen Regelwerk. Welche Erfahrung können Sie an junge Menschen weitergeben? Gertrud Fussenegger: Sie haben Recht, mich darauf anzusprechen. Nun, leicht ist mir das alles nicht gefallen. Ich habe schwer mit mir gekämpft und gerungen. Da meine zweite Ehe nur standesamtlich geschlossen war, war ich' sehr lange von den Sakramenten ausgeschlossen. Das habe ich als tief schmerzlich empfunden, doch es war ein Schmerz, der, so glaube ich, auch sehr fruchtbar für mich geworden ist. Nur so ist mir die ganze Kostbarkeit der Eucharistie bewußt geworden. Ich kann es nicht bedauern, daß ich in jener Zeit oft bittere Tränen vergossen habe. Genau genommen war ich beschenkt durch das Verbot. PUR: Schon seit Ihrer Kindheit ist das Schreiben für sie wichtig. Was geht da in Ihnen vor? Gertrud Fussenegger: Wenn ich mir ein Thema vornehme, dann ist das für mich wie ein Blick von einem Hügel über eine ausgedehnte Landschaft. Ich weiß zwar schon ungefähr, wohin mich mein Weg führen soll, doch dazwischen liegen viele Strecken noch wie unter Nebelbänken. Auf sie gehe ich zu ... sie müssen sich erst enthüllen. Eben dieses Fortschreiten durch noch Verhülltes, das dabei immer mehr Farbe, mehr Genauigkeit, mehr Substanz gewinnt, das ist etwas wie ein Abenteuer, das ist das große Glück des Schreibens. Ich könnte mir ein Leben ohne dieses sich immer wieder erneuernde Erlebnis kaum vorstellen. PUR: Ist die geplante Rechtschreibreform eher ein Hindernis oder eine Hilfe für den Umgang mit der Sprache? Gertrud Fussenegger: Hilfe? Überhaupt nicht. Man hat uns versprochen, das Rechtschreiben sollte einfacher werden, einleuchtender. Aber die Komplikationen sind geblieben, womöglich nur schlimmer geworden. Da sind viele Unsinnigkeiten unterlaufen, bei den Trennregeln zum Beispiel. Auch gegen die stille Metaphorik unserer Sprache hat man gesündigt. Seit Goethe hat das Deutsche die Tendenz, Wörter zusammenzuschließen, die sinngemäß zusammen gehören, wie etwa "wiedersehen", "tiefgekühlt", "frischgebacken", "leerstehend". Nun sollen diese Komposita auseinanderbrechen und verlieren dadurch ihren hergebrachten Sinn. Und derlei mehr. PUR: Es war Ihnen immer wichtig, auch mit anderen Literaten zusammenzusein, sich auszutauschen. Sie haben auch in Gremien mitgewirkt, die Literaturpreise vergeben haben. Was ist Ihr Eindruck von der zeitgenössischen Literatur? Gertrud Fussenegger: Kein einheitlicher natürlich - und so muß es auchsein. Der weite Fächer der Charaktere,der Temperamente, der Gesinnungen, der Persönlichkeiten muß seinen Ausdruck finden in einer ebenso weitenVielfalt der geschaffenen Werke. Es stimmt, daß ich damals, als ich beispielsweise fünfmal in der Jury für den Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt war, mit einem ganz breiten Spektrum moderner Schreibweisen konfrontiert worden bin. Manche derdamals Entdeckten wurden dann später wirklich literarische "Größen".Augenblicklich befasse ich mich allerdings eher mit Sachbüchern. PUR: Warum? Gertrud Fussenegger: Die Menschheit steht jetzt an der Schwelle des dritten Jahrtausend vor so großen und schweren Problemen, daß ich mich veranlaßt fühle, mich darüber zu informieren. Und die Wissenschaft ist in so neue aufregende Gebiete eingedrungen, daß sich ganz neue Perspektiven eröffnen. Da sollte man doch eine Ahnung davon haben. Darum Sachbücher, und darum bin ich vielleicht doch kein durchaus unmodemer Mensch. PUR: Ein Schriftstellerkollege, MartinWalser, hat aus Anlaß seines siebzigsten Geburtstages geäußert, das Altern sei für ihn von allen irdischen Gemeinheiten die Gemeinste. Es gebe geradezu eineVerharmlosungsverschwörung in bezug auf das Alter. Was bedeutet Altern für Sie? Gertrud Fussenegger: Ich will Martin Walser nicht widersprechen, wenn er es so empfindet. Was mich betrifft: Ich hatte das Glück, lange verhältnismäßig gesund zu bleiben und mit dem allmählichen Altern ganz gut zurechtzukommen. Das hat sich in letzter Zeit verändert. Es wird auch für mich allmählich Zeit, die Reduktion der Kräfte wahrzunehmen. Doch solange ich Arbeiten und das Tägliche für mich besorgen kann, will ich dankbar sein. Freilich, man geht als alter Mensch auf einen bestimmten Punkt zu, auf das unausweichliche Ende. Man darf nur neugierig sein, wie es sich anläßt. Ich hoffe, in Anstand und Würde zu bestehen. Es sollte dann freilich doch ein Schritt aus der irdischen Dämmerung in ein Licht sein. Darauf darf man hoffen und vielleicht auch dann und wann darum beten.
Redaktion: Alexandra Linder M.A. und Michael Ragg Bitte beachten Sie unsere Seite "Aktuelles". |
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